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Neuroplastizität: Lebenslanges Lernen durch Gehirnverbindungen

Ob Konzentrationsschwierigkeiten oder altersbedingte Vergesslichkeit: Seit 40 Jahren versucht die Wissenschaft1, das Gehirn zu erforschen, und mithilfe der Neuroplastizität zu unterstützen. Doch was ist das überhaupt, und was hat Neuroplastizität mit Gehirnzellen und altersbedingten Erscheinungen zu tun?

Das Wichtigste in Kürze

  • Neuroplastizität ist die Fähigkeit, Aufbau und Funktionen innerhalb des Gehirns so anzupassen, wie Einflüsse und Anforderungen von außerhalb es benötigen.
  • Es bilden sich neue Synapsen, die dabei helfen können, Dinge zu erlernen, z.B. Instrumente oder handwerkliche Tätigkeiten.2
  • Neuroplastizität passiert bis ins hohe Alter und kann bei altersbedingten Erscheinungen und natürlicher Altersvergesslichkeit eine wichtige Rolle spielen.3

Die Definition von Neuroplastizität

Neuroplastizität ist die Antwort des Gehirns auf Außeneinflüsse. Funktionen und Aufbau des Gehirns werden mithilfe von neuen Verbindungen der Synapsen (Gehirnzellen) verändert. So kann man sich neue Dinge merken, wenn z.B. eine Tanz-Choreografie einstudiert oder eine Fremdsprache erlernt wird.2 An neue Tast- oder Bewegungsmomente kann sich das Gehirn durch die Synapsenverbindungen anpassen.3 Deshalb fällt es beim Üben mit der Zeit auch leichter, Griffe am Klavier zu finden oder ein kompliziertes Lied auf der Gitarre zu lernen.

Sollte das Gehirn z.B. durch einen Unfall oder eine Krankheit geschädigt werden, kann Neuroplastizität eine wichtige Rolle dabei spielen, alte Fähigkeiten wieder neu zu lernen.2 Dies erfolgt nicht nur durch klassisches Gehirntraining der Nervenverbindungen auf sensorischer und motorischer Ebene, Aufgaben oder Lernen, sondern auch durch Motivation, Belohnungen, Ernährung oder Hormone.3

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Wie entsteht die Neuroplastizität des Gehirns?

Im menschlichen Gehirn befinden sich bei der Geburt etwa 100 Milliarden Nervenzellen. In der Neuroplastizität bauen diese Nervenzellen untereinander jeweils mehr als 1000 Verbindungen pro Zelle auf. Dafür benötigt das Gehirn jedoch auch Energie und die richtigen Boten- bzw. Nährstoffe.2

Für diese effektive Versorgung muss die sogenannte Blut-Hirn-Schranke richtig funktionieren. Dabei handelt es sich um eine Schranke zwischen Blutkreislauf und zentralem Nervensystem, welche als Schutzfunktion dient. Sie filtert Schadstoffe aus dem Blut und hält das chemische Gleichgewicht im Gehirn aufrecht, welches letzten Endes die Voraussetzung für die Funktion von komplexen Abläufen im Gehirn ist. In der Schranke entstehen auch Prozesse zur Zellerneuerung. Da dort Stammzellen und Blutgefäße zusammentreffen, ist Neuroplastizität möglich. Diese neu entstandenen Zellen sind ausschließlich dort aktiv, wo sie benötigt sind und werden z.B. in beschädigte Hirnregionen integriert und verknüpft. Die Schranke bietet jedoch auch einen Ort für neue Verbindungen zu bereits vorhandenem Wissen. Dieses wird dadurch aufgefrischt und gefestigt. Neuroplastizität kann auch Verbindungen abnehmen lassen, falls nicht mehr benötigt. So entsteht ein dynamischer Lernprozess.2

Was ist neuronale Plastizität?

Der dynamische Lernprozess wird vor allem bei Lieblingserinnerungen sichtbar, die man viel schneller hervorrufen kann als z.B. etwas, das für eine Prüfung gelernt werden muss. Im Gehirn werden für jeden Lernvorgang neue Pfade angelegt, was also die Verbindungen zwischen den Nervenzellen sind. Diese müssen täglich gestärkt werden, indem Dinge konzentriert wiederholt oder geübt werden. Die Kommunikation der einzelnen Neuronen erfolgt über Synapsen, die als Berührungspunkte dienen. Neue Wissensstärkung unterstützt die Synapsen. Je besser die Kommunikation, desto schneller werden elektrische Signale auf neuen Pfaden übertragen. Dies bedeutet, dass Synapsen korrekt ab-, um- oder aufgebaut werden müssen, damit sich das Gehirn anpassen kann.4 Dies ist die synaptische bzw. neuronale Plastizität.

Neuroplastizität entsteht durch die AMPA-Rezeptoren im Hippocampus. Die Rezeptoren sind Nervenzellen, die wie kleine Fühler auf Empfang eingestellt sind, sich ein- und ausfahren und das Signal ausgeben. Dabei helfen drei Moleküle als Rezeptor für das Signalmolekül Reelin. Wird das Gehirn älter, reagieren die Schlüsselmoleküle und Reelin unterschiedlich aufeinander. Die Moleküle könnten dabei auch mit altersbedingtem Vergessen zu tun haben.4

Ein praktisches Beispiel: Liebt man Autos und sieht von weitem eines, versucht man zuerst zu erkennen, um welche Marke es sich handelt. Dabei legt das Gehirn neue Verbindungen zwischen den Neuronen an und Neuroplastizität entsteht. Man sieht die Farbe Rot und die Sehrinde vermerkt es. Der Motor brummt und die Neuronen des Gehörs verbinden sich mit denen der Sehrinde. Dieser Vorgang wird immer wiederholt, je mehr dieses Auto vorbeifährt. Je öfter die neuronalen Pfade diese Informationen übertragen, desto besser wird die synaptische Plastizität. Die kognitive Leistungsfähigkeit wird ständig gesteigert.4

Neuroplastizität lernen: Kinder und Erwachsene

Bei Kindern wächst das Gehirnvolumen noch stetig, bis es ab ca. dem 13. Lebensjahr schließlich langsamer zunimmt.Die Neuroplastizitätsverbindungen scheinen in den ersten Lebensjahren alles aufzunehmen, nur um dann später unwichtigere Verbindungen wieder zu lösen: Das Gehirn probiert sich selbst aus4 und wird dabei von der Neuroprotektion geschützt.

Auch bei Erwachsenen scheint es möglich zu sein, neue Verbindungen zu schließen, wie z.B. von Weber et al. (2019) in einer Studie nachgewiesen: Erwachsene Probanden trainierten wöchentlich jeweils vier Stunden auf einem Einrad den Gleichgewichtssinn. Zum Ende der Studie hin zeigten sich auf Gehirnscans deutliche Veränderungen zur Motorik, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung.6

Im Vergleich zu Kindern ist es bei Erwachsenen jedoch ein langsamerer Prozess, neue Verknüpfungen zu schaffen. Fähigkeiten werden vor allem strukturell im Hippocampus erlernt als auch funktionell für die Effizienz.7 Während die Wissenschaft – wie auch bei der Neurogenese, also der Bildung von neuen Gehirnzellen, – lange der Ansicht war, dass im erwachsenen Gehirn keine neuen Zellverbindungen stattfinden können, wurde dies mittlerweile größtenteils widerlegt.8 Mit zunehmendem Alter ist es besonders wichtig, das Gehirn zu trainieren, um es gesund zu halten und Neurogenese bzw. Neuroplastizität zu unterstützen.

„Stille Synapsen“

Stille Synapsen sind Synapsen in jungen Gehirnen, die dabei helfen, Verbindungen von Gehirnzellen, also Neuroplastizität, zu optimieren. Gerade in Kindergehirnen passiert es häufig, dass Verbindungen neu organisiert werden und Verbindungshilfe benötigen.4

Wo unterstützt Neuroplastizität?

Die Förderung der Neuroplastizität kann z.B. nach einem Schlaganfall dabei unterstützen, Funktionen des Gehirns wiederzuerlangen. Dies ist auch im höheren Alter möglich, da das Gehirn weiterhin Gehirnzellen bildet. Wurde das Gehirn geschädigt, versucht die Forschung also, Neuroplastizität anzuregen, Nervenzellen zu unterstützen und eventuell zu regenerieren.2 Diese Regeneration kann sogar mehrere Jahre nach einem Schlaganfall gefördert werden. Damit werden motorische und kognitive Fähigkeiten gestärkt.3 Bei einem Schlaganfall ist das Hirngewebe an der Läsion flexibel und genau dort kann Neuroplastizität stattfinden.9

Auslöser von trägen Nervenzellen

  • Stress10, da z.B. viele Ereignisse im Gehirn neu bewertet werden und rationale Entscheidungen schwierig getroffen werden11

  • Wenig kontinuierliche körperliche Aktivität10

  • Natürliche altersbedingte Vergesslichkeit12

  • Drogenabhängigkeit oder Schmerzen13

Übungen und Förderung der Neuroplastizität

Generell sind die folgenden Punkte empfehlenswert zur Unterstützung der Neuroplastizität:

 

  • Physische Aktivität, vor allem gefördert durch die Ausschüttung von Dopamin14 bei aerobem Ausdauersport wie laufen, wandern, Rad fahren, schwimmen15, wodurch neue Verbindungen im Gehirn entstehen und sich das Verhalten anpassen kann16
  • Geistige Aktivität, vor allem die Förderung der kreativen Denkprozesse17. Das Gehirn kann fit gehalten werden und neue Energie erlangen.
  • Gesunde Ernährung, vor allem energierestriktiv und mit Omega-3-Fettsäuren17: Auch Neuropepton und Zink spielen eine Rolle. Neuropepton enthält die Nährstoffe Neuropeptide und Aminosäuren. Neuropeptide sind proteinähnliche, neurotrophe, also nervenernährende Moleküle. Aminosäuren sind Baumaterial wichtiger Nervenbotenstoffe. Zink trägt zusätzlich zu einer normalen kognitiven Funktion bei.
  • Schlaf, Bewegung, Denksport und gute Ernährung unterstützen dabei, ein Leben lang neue Gehirnzellen zu bilden und so geistig fit zu bleiben. Dies ist die (adulte) Neurogenese, also die Entstehung von Neuronen. Je älter man wird, desto weniger ist das Gehirn dazu in der Lage (was unter anderem an fehlenden Nährstoffen liegt).

FAQ

Das Gehirn nimmt neue Eindrücke und Wissen in mehreren Schritten auf:

  1. Kurze Zwischenspeicherung für etwa zehn Zehntelsekunden von Informationen im sensorischen Register als elektrische Impulse.

  2. Das Kurzzeitgedächtnis verarbeitet die eben bekommenen Informationen in Eiweißketten, die etwa einige Sekunden bis Minuten erhalten bleiben.

  3. Dauerhafte Speicherung durch mehrmalige Repetition ins Langzeitgedächtnis und somit dauerhafte Einlagerung der Eiweißketten in den Nervenzellen4

Langzeit-Meditation kann die Neuroplastizität fördern19, ist jedoch keine Allgemeinlösung gegen Krankheiten wie altersbedingtes Vergessen oder Parkinson.

Quellenangabe